Ko-Mobilität: Die neue Verkehrswelt zwischen ÖV und IV

27. Mai 2020

Dr. Jörg Beckmann, Leiter der Mobilitätsakademie des TCS, über die Folgen der Corona-Krise für Mobilitäts-Start-ups, Einhörner, die zu Mammuts werden, und das Erfolgsgeheimnis von carvelo2go.

Jörg Beckmann
Jörg Beckmann

Interview: Dominic Graf ¦ Erschienen: Touring-Magazin, Ausgabe Juni 2020, S. 18 (>zur aktuellen Ausgabe)

Welche Auswirkungen wird die Corona-Krise auf die geteilte Mobilität haben?

Jörg Beckmann: Angebotsseitig wird sich bis zum Ende der Krise einiges verändert haben, und das insbesondere auch im kollaborativen Verkehr. In den letzten Wochen haben wir Massenentlassungen bei vielen gehypten «Urban-Mobility-Start-ups» gesehen, denn die Corona-Krise zeigt, dass deren Geschäftsmodelle keineswegs krisenfest sind. Sobald die Nutzungen einbrechen, springen die Risikokapitalgeber ab, und aus dem Einhorn wird ein ausgestopftes Mammut, das kaum mehr wiederbelebt werden kann. Auch schon vor dem Coronavirus ereilte dieses Schicksal so manche Player aus dem Bikesharing. Um das künftig zu vermeiden, müssen neue Geschäftsmodelle und Verkehrsangebote nicht nur nachhaltig, sondern auch resilient sein, also belastbar, auch in Krisenzeiten. Wie Resilienz im Verkehr aussehen kann, zeigt carvelo2go: Im März und April haben wir unser Mietmodell um Langzeitmieten erweitert und konnten so den Betrieb garantieren. Zudem konnten wir über diese Mieteinnahmen einen Teil unserer Flotte kostenlos für Hilfsprojekte zur Verfügung stellen.

Sie sprechen von kollaborativer Mobilität anstatt von Shared Mobility. Wo ist der Unterschied?

Traditionell ist die Welt des Verkehrs eine zweigeteilte. Das heisst: auf der einen Seite der klassische private Individualverkehr (IV) und auf der anderen der öffentliche Kollektivverkehr (ÖV). Mit der kollaborativen Mobilität entsteht zwischen diesen beiden Polen eine Verkehrswelt, in der ÖV und IV besser miteinander kooperieren oder eben kollaborieren. Ein wesentlicher Aspekt dieser Ko-Mobilität ist die Tatsache, dass Fahrten, Fahrzeuge und Infrastrukturen von unterschiedlichen Akteuren geteilt werden. Aber auch Geschäftsmodelle wie das sogenannte «Ridehailing» von Uber, Lyft und anderen gehören in diese neue Welt der Ko-Mobilität, ohne dass hier zwingend eine Fahrt geteilt wird. «Shared Mobility» oder «Mobility Sharing» deckt nur einen Teil der neuen kalloborativen Verkehrswelt ab.


2013 lancierte die Mobilitätsakademie des TCS den World Collaborative Mobility Congress*. Warum haben Sie sich diesem Thema damals angenommen?

Als wir mit «wocomoco»* an den Start gingen, spürten wir, dass Uber, Blablacar, Flixbus und andere Start-ups mit ihren internetbasierten Geschäftsmodellen die verkrustete Verkehrswelt dauerhaft verändern werden. Diese Entwicklung wollten wir einfangen und für den TCS besser versteh- und nutzbar machen. Dank unseres frühen Einstiegs in das Thema konnten wir in den letzten Jahren an zahlreichen Forschungsprojekten mitarbeiten und insbesondere die weltweit erste und nach wie vor grösste Sharing-Plattform für elektrische Cargobikes – carvelo2go – aufbauen.

Warum sind die E-Cargobikes so erfolgreich?

Es sind ideale Fahrzeuge zum Teilen – dies aufgrund ihres recht hohen Preises von über 5000 Franken und der nicht täglich anfallenden Nutzung. Dabei haben die letzten fünf Jahre gezeigt, dass die Verankerung unserer Cargobikes im Quartier aus mehreren Gründen ein zentraler Faktor für den Erfolg des Angebots ist: Jedes Carvelo wird von einem lokalen Betrieb im Quartier betreut, der den Akku auflädt und die Schlüsselübergabe an die Nutzerinnen und Nutzer sicherstellt. Beteiligte Betriebe sind zum Beispiel Bäckereien, Cafés, Quartierläden oder Restaurants. Ausserdem darf der Host das Cargobike für eigene Zweck nutzen und sorgt mit den eigenen Fahrten für vermehrte Sichtbarkeit im Quartier. So verbinden wir bei Carvelo2go den betrieblichen mit dem privaten Verkehr und den Personen- mit dem Warenverkehr. Getragen wird das ganze durch eine Mischung aus Mieteinnahmen, privaten Sponsorings und städtischen Anschüben, sodass wir kein Geld «verbrennen», sondern ausgewogen wirtschaften können.


*Seit letztem Jahr ist der «wocomoco» kein für sich allein stehender Kongress mehr, sondern Bestandteil der Schweizer Mobilitätsarena, dem wohl wichtigsten Treffpunkt für Entscheider, Innovatoren und Interessierte aus dem Bereich der Mobilität.

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